PROJEKTREPORTAGE

Science and Technology Centre, Ostrau (CZ)

AP Atelier, Prag (CZ)

In Anlehnung an das ehemalige Industriegebiet, in dem sich das Science and Technology Centre befindet, wählten die Architekten Klinker als Fassadenmaterial.

Im Antlitz der Hochöfen

  • Autor: Michael Kasiske
  • Fotos: Tomas Soucek, Lukáš Kaboň

Die hoch aufragenden Industrierelikte in Vítkovice (CZ) sind seit 2008 Europäisches Kulturerbe. Fast zweihundert Jahre lang bestimmte das Herstellen von Stahl diesen Vorort von Ostrau (CZ). Allmählich verwandelt sich das einst nur Arbeitern zugängliche Areal zu einem öffentlichen Raum. Vorhandene Anlagen erhalten neue Nutzungen, Neubauten und Grünräume fassen sukzessive die ausgefransten Ränder. Mit der „Welt der Technik“ hat das Architekturbüro AP Atelier einen beeindruckenden städtebaulichen Eckpunkt gesetzt.

Die Neubestimmung der einstigen „Witkowitzer Eisenwerke“, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts vom Wiener Unternehmer Salomon Rothschild aufgebaut wurden, folgt einem ebenfalls von den Prager Architekten erarbeiteten Masterplan. Den ehemaligen Gasometer etwa bauten sie zu einer Veranstaltungsarena um, auf einen Hochofen setzten sie in schwindelnder Höhe das „Bolt Tower Café“, das schon jetzt ein weithin sichtbares Wahrzeichen ist. Mit dem „Svět techniky Ostrava“, wie die neue Institution in der Landessprache heißt, gibt AP Atelier jedoch auch der Stadt einen belebenden Impuls.

Ostrau (CZ), mit heute knapp 300.000 Einwohnern die nach Prag und Brünn drittgrößte Stadt Tschechiens, erntete in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Früchte der Industrialisierung. Architektonische Zeugnisse sind etwa das prächtige Rathaus von 1930 mit seinem 85 Meter hohen Aussichtsturm oder die 1926 fertiggestellte moderne Kunsthalle, deren Sammlung neben einer beeindruckenden „Judith“ von Gustav Klimt auch Werke von Dürer, Cranach und natürlich der tschechischen Moderne umfasst.

Rechtes Foto: Josef Pleskot, Mitgründer des Büros AP Atelier aus Prag (CZ)

Der Inhalt des neuen Lernzentrums in Vítkovice (CZ) ist hingegen die spielerische Wissensvermittlung vor allem für Kinder. Hier werden natürliche und technische Prozesse wissenschaftlich nachvollzogen und in den größeren Kontext der Zivilisation eingebunden. Nach dem Entwurf der Berliner Ausstellungsgestalter Archimedes entstanden Parcours, in denen das sogenannte Edutainment, also die Verbindung von Bildung und Unterhaltung, überzeugend gelingt, auch für Erwachsene. Um die Lernbereiche flexibel zu handhaben, ging AP Atelier mit dem Gebäude in die Fläche. Der dreieckige Baukörper vervollständigt sich mit einem ebenfalls dreieckigen Vorplatz zu einem Quadrat und bildet damit einen zukünftigen Straßenblock. Der zentral in der vollständig verglasten Diagonale platzierte Eingang liegt in dem aus dem Baukörper herausgeschobenen Untergeschoss, auf dessen Dach sich ein etwas über Straßenniveau liegender Garten befindet.

“Die Struktur des Gebäudes basiert auf Erkenntnissen über die Wechselwirkungen von Natur, Wissenschaft und Technik.”

Die beiden kürzeren Schenkel des Gebäudes hingegen werden zu einer stark gebogenen langen Wand zusammengefasst. Als Material wählten die Architekten einen dunklen burgunderfarben Klinker. Denn der vertraute Baustoff, der hier in Vitkovice (CZ) ebenso wie für zahllose andere Industrieanlagen des 19. Jahrhunderts europaweit verwendet wurde, verleiht der Wand eine Massivität, die durch die eingeschnittenen Fensterbänder noch unterstrichen wird. Aus dem reizvollen Gegensatz zwischen der Öffnung zur historischen Industrie und dem Schließen zur Grenze des Areals, einer traditionell gemauerten Begrenzung nicht unähnlich, gewinnt das Bauwerk seine klare Orientierung. Es wirkt so über die Architektur hinaus städtebaulich prägend, auch als Schnittpunkt zweier noch nicht ausgestalteter Achsen, nämlich derjenigen von Natur und Technik.

Das dreieckige Gebäude wirkt vor allem aufgrund des burgunderfarbenen Klinkers entlang der Südost-Fassade sehr massiv, wohingegen es sich Richtung Nordwesten über eine große Glasfront der Umgebung öffnet.

In der Eingangsfront spiegeln sich, wenn man aus der zukünftigen Grünachse kommt, die heute heroisch erscheinenden Hochöfen, aus der anderen Achse kommend wird das neue Grün reflektiert. Den tiefer liegenden Eingang erreicht der Besucher über eine einladende Rampe, die parallel zur Glasfront liegt. Die unterschiedlichen Höhenniveaus gleicht der als Treppenanlage mit tiefen Stufen gestaltete Vorplatz aus, der bei warmen Temperaturen ein beliebter Treffpunkt sein wird.

Die 125 Meter lange „Spiegelfassade“, in der sich das gesamte Industriegelände reflektiert, wurde zum Wahrzeichen von Ostrau (CZ).

“Wir haben den dunklen Klinkerstein in Analogie zur Farbigkeit der alten Industriehallen in der Umgebung verwendet.”

Josef Pleskot, AP Atelier, Prag (CZ)

Die Gliederung der Funktionen entwickelt sich aus dem Baukörper: Hinter der Glasfront befinden sich auf drei Ebenen die Themenbereiche, entlang der gebogenen Wand Einzelräume für Werkstätten, Büros und Sonderausstellungen, außen die zur „World of Nature“ gehörenden Stein-, Küchen- und Wildblumengärten. Über drei Etagen bildet das 3-D-Kino, in dem faszinierende Naturfilme gezeigt werden, das räumliche Zentrum. Im zweiten Geschoss liegt ein kindgerechtes Auditorium für Vorführungen von chemischen und physikalischen Experimenten. Die im Innenraum sichtbaren Materialien beschränken sich nahezu ausschließlich auf Sichtbeton, grau lackierte Eisenkonstruktionen, versiegelten Industrieestrich und Glas. Diese angenehm zurückhaltende Industrieatmosphäre bringt in den weiten Räumen, das Panorama der einstigen Schwerindustrie überwältigend zur Geltung.

In dem neuen Lernzentrum haben die Berliner Austellungsgestalter Archimedes die spielerische Wissensvermittlung vor allem für Kinder in den Vordergrund gestellt.

Hingegen heben Formen und Farbe die überwiegend interaktive Ausstellung in den Vordergrund. Ob Phänomene wie Wellen oder Frequenzen anschaulich dargestellt werden, Kameras für Selfies bereitstehen, die Welt der Natur zum Staunen, die der Zivilisation zum kritischen Nachdenken anregt – die großen Räume sind voll von spannenden Wissensinseln, zwischen denen Sitzsäcke zum Entspannen einladen. Selbstverständlich darf die Herstellung von Stahl nicht fehlen, an deren Ende man sich ungeahnt einen Teelöffel „erarbeitet“ hat. Womit der Besucher ganz beiläufig wieder am Ausgangspunkt Vítkovice (CZ) angekommen ist.

In Anlehnung an das ehemalige Industriegebiet, in dem sich das Science and Technology Centre befindet, wählten die Architekten Klinker als Fassadenmaterial.

Die gemeinsamen Räume und Terrassen sind zu dem hellen Innenhof ausgerichtet, der dank der Lichtreflexion der strahlend weißen Klinker regelrecht leuchtet. „Um möglichst viel Licht in den Innenhof zu bringen, wurde die Etagenanzahl an der Südseite auf drei statt wie bei den anderen Flügeln auf sechs beschränkt“, erläutert Kiri Vivathanavej. Die Architekten haben sich lange mit der Auswahl der Klinker beschäftigt und wie diese eingesetzt werden können, um den Entwurfsgedanken zu unterstreichen.

 

Grundriss 3. Obergeschoss des Science and Technology Centre’s in Ostrau.


Architekten

AP Atelier, Prag (CZ)
www.apatelier.cz

AP Atelier wurde von Josef Pleskot gegründet. Der 1952 im südböhmischen Pisek geborene Architekt graduierte an der Technischen Universität in Prag (CZ), wo er auch zeitweise lehrte. Nachdem er zehn Jahre für das Entwurfsbüro der tschechischen Hauptstadt tätig gewesen war, machte er sich 1991 selbstständig. Für seine zahlreichen Hochbauprojekte und Ausstellungskonzepte wurde er mehrfach ausgezeichnet. AP Atelier nahm an Kunstbiennalen in Venedig teil und ist auch in der Präsentation tschechischer Architektur im Ausland vertreten.

Projekte (Auswahl)

2016 Familienhaus B., Svitavy (CZ)
2016 Villa in Prag-Dejvice, Prag (CZ)
2016 Musikclub Heligonka, Ostrau (CZ)
2015 Kapelle im Parlament der Tschechischen Republik, Prag (CZ)
2015 Aufbau von Hochofen No.1, Ostrau (CZ)

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